In der vergangenen Woche hatten wir uns mit dem Humor als Tugend beschäftigt. Diesen Aspekt möchte ich heute vertiefen und zwar in einer kleinen Reflexion darüber, welche Schnittstellen den Humor mit den sogenannten vier Kardinaltugenden verbinden – also der Klugheit, der Gerechtigkeit, der Tapferkeit und der Mäßigung.
Humor braucht Klugheit. Wir hatten bereits gesehen, dass Witz und Wissen zusammenhängen. Im Alltag scheint sich das zu bestätigen. Denn einen guten Witz zu machen, ist ein voraussetzungsreicher und durchaus kopflastiger Vorgang, der auch misslingen kann (›Den versteh ich nicht‹, sagen wir). Um einen guten Witz zu machen, muss ich wissen, was ›geht‹ und was nicht. Ich brauche Wissen über die gemeinsame Lebenswelt einer Gruppe, das Setting, den Kontext. Manch eine Gruppe hat ›Insider‹, die nur Eingeweihte verstehen. Manche Witze funktionieren nur in einer bestimmten Kultur. Andere sind nicht zu jedem Zeitpunkt angemessen. Wieder andere leben geradezu von ihrer Situationskomik.
Humor braucht Gerechtigkeit. Taktgefühl für die Situation ist das eine, doch muss ich mich darüber hinaus auch auf mein Gegenüber einlassen können. Denn anders als Hohn und Spott, die den anderen bloß herabsetzen wollen, zielt der Humor auf Einverständnis und Verstehen (auch beim ›Necken‹ unter Partnern oder Freunden, das ja auf Augenhöhe stattfindet). Einen Witz erzähle ich nicht im luftleeren Raum, sondern jemandem. Umgekehrt muss sich auch mein Gegenüber auf meinen Witz einlassen und mir etwas ›erlauben‹ (z.B., dass ich eine Übertreibung einbaue). Humor ist dialogisch.
Humor braucht Tapferkeit. Ein guter Witz muss vorstoßen, um treffsicher eine Pointe (frz. Spitze) setzen zu können. Die Haltung, bloß niemanden ›offenden‹ zu wollen, erstickt ihn. Da die Tugenden eine Einheit bilden, bedeutet das freilich nicht, dass jede schamlose Beleidigung schon ein guter Witz ist. Ein Witz kann eine bestehende Ordnung – klug, gerecht und tapfer – in Frage stellen (wenn ich etwa eine korrupte Regierung aufs Korn nehme). Er kann sie aber auch – dumm, selbstgerecht und feige – zementieren (wenn etwa Machos einander einen frauenfeindlichen Witz erzählen).
Humor braucht Mäßigung. Zu viel Ernst verdirbt ihn ebenso wie ständige Albernheit. Aristoteles, der große Lehrer der goldenen Mitte, sagt es so:
»Die nun im Scherzen zuviel tun, erweisen sich als Possenreißer und lästige Menschen, indem sie schlechterdings darauf aus sind, Spaß zu machen, und sich mehr Mühe geben, Lachen hervorzurufen, als etwas Anständiges zu sagen und die aufgezogene Person nicht zu verletzen. Die aber stets niemals scherzen und denen, die einen Scherz machen, böse sind, erscheinen als steif und trocken. Die aber angemessen zu scherzen wissen, heißen artig und gewandt, als wüßten sie sich wohl zu wenden.« (Aristoteles, Nikomachische Ethik 1128a)
Thomas von Aquin, der Aristoteles rezipiert, widmet in der Summa sogar einen eigenen Artikel der Frage: ›Ist mangelnde Vergnügungslust sündhaft?‹ Seine Antwort? Ja.
»Alles, was im Menschlichen der Vernunft widerspricht, ist sündhaft. Es widerspricht aber der Vernunft, sich anderen gegenüber verdrießlich zu zeigen, etwa dadurch, daß einer nichts Witziges von sich gibt und auch die Heiterkeit bei anderen unterbindet.« (Thomas von Aquin, Summa Theologica II-II,168,4)
Selbstverständlich redet Thomas hier nicht der Zügellosigkeit das Wort und übt mit den Humorlosen auch sogleich Nachsicht, wenn er sagt, »Humorlosigkeit [sei] weniger sündhaft als ein Übermaß im Lustigen«. Doch bestätigt sich auch hier, dass guter Humor mit der Vernunft und damit den anderen Tugenden Hand in Hand geht.
[Anmerkung: Nächste Woche ist Karfreitag. Ich werde wohl einen thematischen Einschub machen, der diesem Fest entspricht.]