Im Bild sehen wir ein Detail aus dem Jüngsten Gericht des Dominikaners Fra Angelico, eines berühmten Malers der Frührenaissance. Die Erlösten schreiten durch einen Garten in die himmlische Stadt, prächtig gekleidet und geschmückt. Sie sind auf individuelle Weise schön und begegnen sich zugleich auf Augenhöhe. Sie gehen Hand in Hand, im Regen mit den Engeln – ein ins Paradies.
Gericht und Vergebung, die wir im letzten Essay betrachtet hatten, liegen hinter ihnen. Sie tragen schon das Paradieskleid und sind bereit, wie Dante ›aufzusteigen zu den Sternen‹. Sie haben die Aufgabe des Lebens bestanden: sie haben lieben und damit leben gelernt.
Uns wird die Liebe, die uns im Himmel kleiden wird, von Gott auf vielfältige Weise angeboten. Jeder Mensch hat seinen eigenen Weg mit Gott, und wird darum am Ende auch eine einzigartige Liebesgeschichte, ein unverwechselbares Kleid besitzen. Am sichtbarsten jedoch und öffentlich vorausgedeutet wird dieses Paradieskleid im Sakrament der Taufe:
»Dieses Kleid, das wir besessen und verloren haben und doch in allen irdischen Gewändern, die wir tragen, noch immer suchen, wird uns in der heiligen Taufe geschenkt.«1
1. Das Taufkleid
In der Taufe empfangen wir unverdient jenes Gewand der Gnade zurück, das verloren war. Und das nicht bloß als ein ›paradise regained‹, ein ›Zurück zum Anfang‹, sondern durch die felix culpa, die ›glückliche Schuld‹, hindruch in einer neuen Qualität. Hören wir dazu noch einmal Erik Peterson:
»Wenn der Mensch durch den Fall unter die Engel erniedrigt wurde und statt eines Gewandes der Glorie mit Blättern und Fellen sich kleiden mußte, so wird der erlöste und im Leibe mit Christus auferstandene Mensch über die Engel erhöht werden. Sein Gewand wird herrlicher sein als das der Engel und sein Kleid strahlender als jenes, das Adam in Paradiese getragen hat, denn dieses Gewand, das uns in der Taufe geschenkt wurde und das in der Auferstehung aus den Schatzhäusern des Himmels geholt wird, ist ein Gewand, das wie der heilige Basilius sagt, ›den Tod im Fleische ausgelöscht hat; und verschlungen wurde das Sterbliche in dem Gewande der Unsterblichkeit‹. Dieses Gewand wird niemals verloren, denn es ist nicht die Glorie, die die ›unbekleidete‹ Natur des ersten Adam bedeckt, sondern die Glorie des zweiten Adam, der die ›entblößte‹ menschliche Natur in seine göttliche Person aufge|nommen hat und also ›das Sterbliche in dem Gewande der Unsterblichkeit‹ verschlungen hat.«2
In der Taufe ›ziehen wir Christus an‹, wie Paulus sagt, und dürfen fortan als neue Menschen leben. Dieses neue Leben ergeht an uns als Zuspruch und als Anspruch.3 Wir sind schon mit Christus bekleidet – und: wir sollen uns immer wieder mit ihm bekleiden, wie im täglichen Einkleiden.
Denn das weiße Taufkleid, das wir (meist als kleine Kinder) erhalten, bekommt im Laufe unseres Lebens schließlich so manchen Fleck, vielleicht reißt es stellenweise sogar ganz ab. Doch kann es eben nicht mehr unwiederbringlich verloren gehen; das Kleid ist nur dem endgültig verloren, der es verloren gibt. Tun wir das nicht, sondern gehen jedes mal aufs Neue auf die Suche, wenn wir das Kleid verloren haben, wird es uns (vielleicht ganz unerwartet) wieder neu um die Schultern gelegt, wie beim verlorenen Sohn. Wir sind ›wieder im Spiel‹ und die Trauer wandelt sich in Freude, wie es im Psalm heißt:
»Da hast Du mein Klagen in Tanzen verwandelt, hast mir das Trauergewand ausgezogen und mich mit Freude umgürtet. Darum singt Dir mein Herz und will nicht verstummen. Herr, mein Gott, ich will Dir danken in Ewigkeit.« (Psalm 30,12f)4
Der radikale Neuanfang der Taufe, für den das Taufkleid steht, wird also in kleinen (Wieder-)Anfängen fortgesetzt, die durch das Versagen und die Petrus-Momente hindurch die Liebe vertiefen, und auf das himmlische Hochzeitsmahl vorbereiten.
2. Das Hochzeitsgewand
Wer heiratet, schmückt sich. Tatsächlich werden bei einer Hochzeit nicht bloß die Menschen (allen voran Braut und Bräutigam), sondern alle Elemente der Feier mit Hochzeitsschmuck dekoriert und geschmückt. Sofern die richtungsweisende Instanz (= die Braut) nicht gänzlich dem Wahnsinn der Instagram-Hochzeitsindustrie verfallen ist, wird sie diese Elemente auswählen, nicht um den Imperativen zum Konsum zu genügen, sondern um den Gästen eine Freude zu machen sowie ihrem Bräutigam zu gefallen. Im Kolosserbrief lesen wir passend:
»[B]ekleidet euch mit der Liebe, die das Band der Vollkommenheit ist!« (Kolosser 3,14)
Wer heiratet, schmückt sich also für jemand anderen. Hier ist der Schmuck kein Selbstzweck oder eine bloße Erweiterung meiner Selbst, sondern hat eine Beziehungsdimension. Schmuck in seiner ›heilen‹ Form (wenn er also mehr ist, als das bloße ›Umhängen‹ von Wertgegenständen) hat diese Beziehungsdimension übrigens auch, wenn ich jemand anderen schmücke. Jemandem Schmuck zu schenken, ist darum auch kein Affront, wie jemandem Seife zu schenken. Die Aussage lautet nicht: ›Du hast einen Mangel, den Du bitte beheben solltest‹, sondern: ›Du hast eine Qualität, die ich sehe und unterstreichen möchte. Du bist wertvoll in meinen Augen.‹
Das Hochzeitsgewand der Braut ist (zumindest in seiner diesseits-endlichen Ausführung) weiß, wie das Taufkleid. Auch hier steht das Weiß für die Reinheit, für einen neuen Anfang (die oft anzutreffende Blume am Revers des Mannes könnte ebenfalls für das ›Aufblühen‹ von etwas Neuem stehen). Und im Weiß kündet sich zugleich die Vollendung dieses Anfangs an. So tragen auch die Erlösten in der Offenbarung des Johannes weiße Gewänder,5 ebenso Jesus selbst bei der Verklärung:
»Und er wurde vor ihnen verwandelt; sein Gesicht leuchtete wie die Sonne und seine Kleider wurden weiß wie das Licht.« (Matthäus 17,2)
Wie wir selbst, wenn wir ihm ähnlich geworden sind, nach der leiblichen Auferstehung sein werden, wissen wir nicht. Vielleicht werden verhüllende Kleidung und offenbarende Nacktheit im Himmel zusammenfallen, wie es etwa C. S. Lewis in seiner Jenseitsreise The Great Divorce ausmalt, wo es von den Seligen heißt:
»Einige waren nackt, andere bekleidet. Aber die Nackten schienen nicht minder reich geschmückt, […].«6
Solange wir noch im Glauben und nicht im Schauen gehen, sind uns nur Ahnungen von alledem gegeben – wie die Metapher des Paradieskleides. Doch illustrieren diese Bilder eine (Vor)Freude und Hoffnung, auf deren Erfüllung wir gespannt sein dürfen. Hören wir zum Schluss noch einmal Erik Peterson:
»Das neue Kleid, das wir erwarten, wird nicht zerrissen, nicht verloren, nicht geraubt werden können; es ist aufgehoben in der göttlichen Person desjenigen, der Mensch geworden ist. Das ist der Schatz, den wir zu erwerben trachten müssen und den die Motten dieser Welt nicht zerfressen werden.«7
Mit diesen Ausführungen zum Paradieskleid enden unsere Betrachtungen zur Kleidung. Es hat mir viel Spaß gemacht, die Texte zu schreiben, und ich hoffe, dass einige nützliche und interessante Gedanken dabei waren.
Als nächstes werden wir uns dann dem Wohnen widmen, das ebenfalls maßgeblich unseren Alltag bestimmt. Zuvor wird jedoch der Blog für drei Wochen pausieren, da nun die Prüfungsphase ansteht, und ich zudem Ende Januar mit auf unser Provinzkapitel fahre, also keine Zeit zum Schreiben habe. Der nächste Newsletter wird also voraussichtlich am 9. Februar erscheinen.
Ich möchte diesen Übergang nutzen, um noch einmal ganz herzlich allen zu danken, die diesen kleinen Newsletter lesen oder anhören. Herzlichen Dank! :)
Gottes Segen und bis bald, Maximilian Maria
Peterson, Marginalien, S. 15; vgl. ebd., S. 25.
Peterson, Marginalien, S. 16f. In abgewandelter Form schreibt Peterson: »Wer das Taufkleid anlegt, der legt das Kleid, das er nach dem Fall trug, ab: das Kleid aus den Blättern des unfruchtbaren Feigenbaumes, die Gewänder aus den Fellen toter Tiere, die unsere Sterblichkeit versinnbildlichen, das gefärbte Kleid der Eitelkeit, das Gewand der Verführlichkeit und Begier, ›der Hitze und der Feuchtigkeit‹, das ›modische‹ Kleid und das ›bürgerliche‹ Gewand – all diese ›schmutzigen‹ Hüllen streifen wir ab, wenn wir zur Taufe eilen. Entblößt und nackt, wie es der gefallenen Natur geziemt, die ›nackt geboren wird und nackt stirbt‹, schreiten wir zum Taufbrunnen, um nach dem ›mystischen‹ Tode in der Taufe das weiße Taufkleid, das ›strahlende‹ Gewand der Glorie, Unschuld und Unvergänglichkeit zu empfangen.« (Peterson, Marginalien, S. 15 [Zitat unter Auslassung der Fußnoten]; vgl. ebd., S. 26)
Vgl. Galater 3,27; Kolosser 3,9-14; Epheser 4,22ff; Römer 13,14.
Zitiert nach der alten Einheitsübersetzung; vgl. auch Psalm 32,4-7.
Vgl. Offenbarung 3,4f.18; 6,11; 7,9.14; 19,8.14; 21,2.
Lewis, C. S., Die Große Scheidung. Oder: Zwischen Himmel und Hölle, übers. v. Helmut Kuhn, Freiburg/Einsiedeln: Johannes (11. Aufl.) 2008 [Kriterien 47], S. 34. Der Fluss Lethe, von dem letzte Woche bei Dante die Rede war, wird von Lewis ebenfalls zitiert (vgl. ebd., S. 88).
Peterson, Marginalien, S. 27.