Im Bild sehen wir die ›große Welle vor Kanagawa‹. Der weltberühmte Holzschnitt dient gerne als Musterbeispiel für den Goldenen Schnitt. Uns verweist er in unserer Reihe über das Essen und Trinken auf jenes Urelement, das eine unserer Lebensgrundlagen bildet: das Wasser.
Die große Welle zeigt es uns in seiner Schönheit – und in seiner Zerstörungskraft. Wie das Wasser selbst ist auch seine Symbolik wandelbar und unauslotbar. Drei Eigenschaften des Wassers werden wir heute betrachten: das belebende, das vernichtende und das stillende Wasser.
1. Wasser belebt
Die Evolution lehrt, dass das Leben aus dem Wasser kam. Das Leben des Embryo beginnt im Fruchtwasser. Das Wasser bildet für Thales von Milet und viele Schöpfungsmythen die Ursubstanz. Und unser Körper besteht bekanntermaßen zum Großteil aus Wasser. Wasser ist Leben.
Und es schenkt Leben, es vitalisiert; einmal als Notwendigkeit (wer nicht trinkt verdurstet) und ebenso als Erfrischung. Frisches, klarer, sauberes und (wer es mag) kaltes Wasser lassen nicht nur den Körper aufleben, sondern erfrischen auch die Lebensgeister.
Selbst in Videospielen muss mitunter getrunken werden. Im Rollenspiel World of Warcraft müssen Charakter einer Heilerklasse trinken, um ihr ›Mana‹ aufzufüllen. Überhaupt werden Heiler oft – neben dem Licht – mit dem Wasser assoziiert, wie Katara aus der (wundervollen) Serie Avatar: The Last Airbender. Ein weiteres Indiz für seine lebensspendende Kraft.
Das Wasser muss noch nicht einmal in unseren Körper gelangen, um uns zu erfrischen. Manche fühlen sich in ihrem Element, ›wie ein Fisch im Wasser‹, wenn sie Schwimmen gehen. Sie genießen die Schwerelosigkeit, andere vielleicht eher das Sitzen im Whirlpool. So oder so entspannen sie sich und für viele von uns kehrt morgens erst mit der Dusche (und dem Morgenkaffee) wirklich das Leben ein.
Wasser vitalisiert – und es inspiriert: von Teichanlagen, über den Springbrunnen, bis zu beeindruckenden Bauten wie den Wiener Hochquellleitungen, die die Stadt über Kilometer hinweg mit Wasser aus den Bergen versorgen.
Auch in der Bibel wird die belebende Kraft des Wassers gepriesen. Wasserströme und Regen stehen dort für den Segen und die Überfülle Gottes;1 bis am Schluss das ›Wasser des Lebens‹ fließt:
»Und er zeigte mir einen Strom, das Wasser des Lebens, klar wie Kristall; […]« (Offenbarung 22,1)
Doch kennt gerade die Bibel auch die andere Seite des Wassers.
2. Wasser vernichtet
Wasser ist gefährlich. Ein reisender Strom kann Sinnbild für die Widrigkeiten des Lebens sein. Dunkle Gewässer und Meerestiefen sind eine Urangst des Menschen. Der Urozean, das Chaos, steht nicht für das Potential und die Geburt, sondern auch für die Vernichtung und den Untergang.
Sintfluten
So wie das Wasser im Anfang alles bedeckte, könnte es auch zuletzt alles unter sich begraben. In vielen Kulturen gibt es Erzählungen einer großen Flut: vom Gilgamesh-Epos, über die biblische Arche Noah (Genesis 6-9) bis zu Atlantis.
Eine Sintflut ist mehr als eine Naturkatastrophe: sie ist ein Gericht. Die Bosheit erhält ihre gerechte Strafe und wird weggespült, wie Baumbart es im Herrn der Ringe sagt:
»Der ganze Schmutz Sarumans wird fortgespült.«
Auch in kleinem Maßstab gibt es Sintfluten. Im Buch Exodus stirbt Pharao, der die hebräischen Kinder ertränken ließ, zuletzt selbst im Wasser. Das Rote Meer, das Mose geteilt hatte, verschlingt ihn samt seiner Streitmacht (Exodus 14).
Manchmal muss also ›tabula rasa‹ gemacht werden, im großen Stil wie im persönlichen Leben. Jedoch spricht die Bibel hier vom Gericht Gottes. Und dieses Gericht entscheidet sich in einem ganz entscheidenden Punkt von allen ideologischen Auslöschungsphantasien oder der Haltung ›nach mir die Sintflut‹. Es wird in der Bibel nämlich auch stets jemand durch das Wasser – gerettet.
Ein Teil muss gerettet werden
Manchmal muss etwas zu Grunde gehen, damit Neues entstehen kann. Doch entsteht – zumindest innerhalb der Schöpfung – Neues immer nur aus Altem. Ein reinigendes Gericht, das mehr ist als bloße Auslöschung, ereignet sich also nur, wenn etwas durch den Prozess hindruchgerettet und zu einer Auferstehung geführt wird; wie im analogen Bild vom Feuer der Phönix aus der Asche.
In der Sintflut-Erzählung ist es die Arche, die Noah, seine Familie und die Tiere über das Wasser trägt zu einer Neuschöpfung. Und Moses wird schon als Baby von seiner Mutter gerettet, die ihn dem Wasser anvertraut in einem Schilfkörbchen – im Hebräischen das gleiche Wort wie für die Arche (s. Zettel).
Moses ist also schon als Baby ein ›Meister des Wassers‹ (freilich in dem Sinn, dass Gott ihn dazu ausrüstet, nicht als ›Magier‹): er gleitet im Schilfkörbchen über die Fluten, vernichtet später seinen Feind, den Pharao im Wasser und schlägt schließlich in der Wüste Wasser aus dem Felsen (Exodus 17).2
Durch das Wasser zu gehen, kann also gerade die Rettung bedeuten. Das zeigt sich auch an den Bewohnern der Tiefe, die sowohl Seeungeheuer als auch Freunde sein können: den Fischen und Walen.
Seeungeheuer und nette Fische
Die menschliche Phantasie bevölkert die Meere mit Seeungeheuern: vom Leviathan, über den Riesenkraken bis zur Seeschlange. Sie verschlingen den Menschen, sind sein Untergang. Doch symbolisieren sie auch die rettende Dimension des Wassers.
In manchen Kulturen gilt etwa ein großer Fisch als Beschützer und Weisheitsquelle; der Delphin erscheint als Menschenfreund; und bis in unsere Zeit ist der Fisch ein Symbol für Christus (Ichthys = ἰχθύς) und prägt als christliches Erkennungszeichen so manches Auto.
Am deutlichsten verkörpert die Doppelrolle als Monster und Freund der Fisch aus der Jona-Geschichte (Jona 2). Der Prophet wird von einem Fisch verschlungen: doch Gott hat ihn gesendet, und erst im Bauch dieses Fisches wird Jona reif, seiner Sendung zu folgen, vor der er zuvor noch fliehen wollte. Als der Fisch ihn wieder an Land spuckt, ist er bereit – ein tiefes Bild für unsere Lebenskrisen.
Die Taufe
Verschlungen zu werden vom Wasser und aus ihm aufzuerstehen, findet seinen theologisch tiefsten Ausdruck in der Taufe. Wasser vernichtet und Wasser wäscht rein. In der Taufe geht der ›alte Mensch‹ unter und der neue ersteht; der Sünder wird reingewaschen, seine Sünden fortgespült.
Auch das Weihwasser erinnert an diesen Vorgang. Sich mit Weihwasser zu bekreuzigen, ist – wie ein guter Freund mir einmal sagte – sozusagen ein ›kleiner ritueller Selbstmord‹. Eine unscheinbare, doch mächtige Geste, die mich daran erinnern soll, dass ich mit Christus gestorben bin und mit ihm auferstehe.
Weihwasser kann (oder sollte) man nicht trinken. Betrachten wir zum Schluss diese Dimension des Wassers: Trinkwasser zu sein.
3. Wasser stillt den Durst
Wenn wir unseren Durst nicht löschen, werden wir selbst ausgelöscht. Quellen, Oasen und Brunnen sind darum bedeutungsschwere Orte (s. Bild). Das Dürsten nach einer Wasserquelle und einem Trank kann als Metapher dienen für die Stillung einer Sehnsucht: so sprechen wir etwa beim Drang nach Wissen auch von ›Wissensdurst‹.
Durst nach Gott
Auch die Suche nach Gott wird als Durst beschrieben, eindrücklich in Psalm 42:
»Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so lechzt meine Seele, nach dir, Gott. Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann darf ich kommen und erscheinen vor Gottes Angesicht? Meine Tränen sind mir Brot geworden bei Tag und bei Nacht; man sagt zu mir den ganzen Tag: Wo ist dein Gott?« (Psalm 42,2-4)
Vergiftetes Wasser
Nicht jedes Wasser ist ›lebendiges Wasser‹. Das meiste Wasser auf unserem ›blauen Planeten‹ ist bekanntlich kein Trinkwasser, denn es ist salzig. Nur, wer schon wahnsinnig ist vor Durst, trinkt es – und stirbt. Auch das Süßwasser kann kontaminiert und damit der letzte Trank sein – wie es im Lied Wir lagen vor Madagascar heißt:
»Der Langbein, der war der erste, / der soff von dem faulen Nass. / Die Pest, sie gab ihm das letzte, / und wir ihm ein Seemannsgrab. Ahoi, Kameraden…«
Steht das lebendige Wasser für die Entscheidung für Gott und das Gute, so kann vergiftetes Wasser für eine falsche Wahl stehen; im Buch Jeremia heißt es:
»Mein Volk hat doppeltes Unrecht verübt: Mich hat es verlassen, den Quell des lebendigen Wassers, um sich Zisternen zu graben, Zisternen mit Rissen, die das Wasser nicht halten.« (Jeremia 2,13)
Was tränkt mich?
Wenn ich nicht aus den Quellen des Lebens trinke, sondern mich Zaubertränken zuwende, muss ich, auf dem Grund des Glases angekommen, feststellen, dass sie sich als Gifttrank entpuppen. Ich kann die Inhaltsangabe ignorieren und gedankenlos hinunterkippen, was mir im Leben so als Leben verkauft wird. Erst ist es süffig, dann siffig und zuletzt teile ich mir mit den Mücken immer kleiner werdendere Pfützen abgestandenen Dreckwassers. Wer suchtkrank war oder ist, weiß darum.
Das Wasser als Durstlöscher kann also auch eine nützliche Frage aufwerfen: Was tränkt mich – wirklich? Wo gibt es Pfützen in meinem Leben, Rinnsale aus denen ich abgestandenes Wasser schlürfe; die mich, während ich trinke, verdursten lassen? Und: wo gibt es lebendige Quellen: Personen, Freuden, Handlungen oder Dinge, die mich wirklich beleben?
Quelle lebendigen Wassers
In der frühchristlichen Kunst wurde der Hirsch aus Psalm 42 zum Symbol für die Suche nach Jesus als dem ›fons bonitatis‹, der wahren Quelle lebendigen Wassers. Wie Moses ist Jesus ein ›Meister des Wassers‹, was im Gang über das Wasser ausgedrückt wird (Matthäus 14,22-33).
Als der Soldat ihm mit der Lanze das Herz durchbohrt (Johannes 19,34), fließen Blut – und Wasser heraus. Anders als Mose erhält Jesus seine Herrschaft über das lebendige Wasser nicht nur von Gott, er selbst ist die Quelle. So stellt er sich der Frau am Jakobsbrunnen vor, so verheißt er uns, wenn wir zu ihm kommen wollen:
»Wer Durst hat, komme zu mir und es trinke, wer an mich glaubt! Wie die Schrift sagt: Aus seinem Inneren werden Ströme von lebendigem Wasser fließen.« (Johannes 7,37f)3
Im Anhang füge ich noch ein Video bei, das die Bedeutung des Wassers in der Bibel weiter betrachtet. Nächste Woche werden wir nach dem Grundnahrungsmittel Wasser einige weitere Speisen und Getränke theologisch betrachten, besonders Brot und Wein.
🎥 Video: BibleProject, Why Water Matters in the Bible
Gottes Segen und bis nächste Woche,
Vgl. bspw. Psalm 65,10-14; Hesekiel 47,1-12; Jesaja 45,8.
Vielen weiteren Typologien lässt sich hier nachgehen. So kann auch das Haus, dessen Türpfosten die Israeliten mit Blut bestreichen, als eine Art Arche gesehen werden, weshalb das Holz der Arche auch an das Holz des Kreuzes erinnert.
Gemeint ist der Heilige Geist (vgl. Johannes 7,39).