Hat Jesus gelacht, hatte er Humor? Diese Frage hatten wir in einem vorangegangenen Essay bereits aufgeworfen. Heute werden wir ihr nachgehen.
Wenn es nach der Jesus-Interpretation der Serie ›The Chosen‹ geht, wäre die Frage schnell mit Ja beantwortet. Dort wird Schauspieler Jonathan Roumie (s. Bild), der die Rolle Jesu (wie ich finde sehr einfühlsam) spielt, gezeigt, wie er lacht, gesellig ist und sich sogar zu dem ein oder anderen Spaß hinreißen lässt (etwa in der Episode zur Hochzeit zu Kana1).
Doch stimmt das mit dem Zeugnis des Neuen Testaments überein? Diese Frage können wir uns ganz sachlich stellen, ohne grämlich ins Schwarz-Weiß aus Der Name der Rose eintauchen zu müssen. Wir können schlicht fragen, was das Neue Testament sagt. (Da die Serie The Chosen als künstlerische Adaption gewisse Freiräume hat und sich darin transparent über die biblischen Zeugnisse hinausbewegt, werde ich sie im Folgenden nicht weiter thematisieren.)
Schauen wir also ins Neue Testament. Als erstes springt tatsächlich ins Auge, dass Jesus nie lachend gezeigt wird (in den apokryphen Schriften freilich schon), ja dass im Neuen Testament sowieso kaum gelacht wird. Das gibt zu denken. Sollte Nietzsche mit einer seiner bissigen Anmerkungen recht behalten?
»Es ist zu bedauern, daß Jesus Christus nicht länger gelebt hat, er wäre vielleicht der erste Renegat seiner Lehre geworden, vielleicht hätte er dann auch noch das Lachen gelernt und weniger oft geweint.« (Nachgelassene Fragmente, Frühjahr 1880)
Denn weinen tut Jesus wiederholt, etwa am Grab seines Freundes Lazarus (vgl. Joh 11,33ff). Dieses Missverhältnis zwischen Lachen und Weinen bringt der Kirchenlehrer Chrysostomos in einem breit rezipierten Wort auf den Punkt:
»Weinen sehen kann man Jesus oft, lachen nie, nicht einmal leise lächeln; jedenfalls hat kein Evangelist etwas davon berichtet.« (zit. nach Zander, Darf man über Religion lachen, S. 32)
Passt das Schwarz-Weiß also doch? Sollten wir uns Jesus als einen betrübten Menschen vorstellen, der nie gelacht hat? – Ich denke nicht.
Denn das Jesus in den Evangelien nicht als lachend vorgestellt wird, bedeutet nicht automatisch, dass er nie gelacht hat. Die Schrift gibt uns ja, obschon sie in der Tiefe alles Wesentliche zur Verfügung stellt, keinen umfassenden Bericht über jede Regung im Leben Jesu; denken wir nur an den Schluss des Johannesevangeliums:
»Es gibt aber noch vieles andere, was Jesus getan hat. Wenn man alles einzeln aufschreiben wollte, so könnte, wie ich glaube, die ganze Welt die dann geschriebenen Bücher nicht fassen.« (Joh 21,25)
Jesus könnte also sehr wohl gelacht haben, obschon uns davon nicht explizit berichtet wird. Und ehrlich gesagt fällt es mir außerordentlich schwer, mir vorzustellen, wie Jesus das Erwachsenen-Alter erreicht haben soll, ohne jemals als Baby gegluckst, als Kind herumgealbert oder als Erwachsener gelacht und Spaß gehabt zu haben. Ich unterstelle, dass die Phantasien eines gänzlich humorlosen Jesus weit mehr über diejenigen sagen, aus deren Köpfen solche Phantasien erwachsenen, als über den Charakter des Sohnes Gottes.
Und doch bleibt festzuhalten, dass die Evangelien zumindest keinen Wert darauf legen, uns Jesus als besonders unterhaltsam zu präsentieren. Und das wiederum hat seinen Sinn: denn tatsächlich lässt sich Jesus, auch wenn er gelacht hat und gesellig war (was ich glaube), nicht als Scherzvogel oder Klassenkasper begreifen. Jesus ist eine sehr ernsthafte Person. Den Weg zum Kreuz, den er gehen muss, können Freude, Humor, Herzlichkeit und Geselligkeit schmücken, aber dümmliches Gealbere hat dort keinen Ort.
Wie Jesus innerhalb dieses Ernstes und nicht etwa gegen ihn seinen Humor gelebt hat, und was diesen denn nun inhaltlich auszeichnet, darum wird es im nächsten Essays gehen.
Staffel 1, Episode 5: The Wedding Gift (zu sehen auf: https://www.angel.com/watch/the-chosen [Abruf: 30.06.2023]). [›Nobody is perfect‹ – auch The Chosen ist es in theologischer Hinsicht nicht; ich für meinen Teil kann die Serie dennoch empfehlen.]