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Letztes Mal hatte uns die Schlaflosigkeit umgetrieben. Heute1 betrachten wir Gottes Verhältnis zum Schlaf, und ob unser Verhältnis zu ihm einen eigenen, genuin theologischen Weg zum sorglosen Schlaf eröffnen kann.
1. Schläft Gott?
Wir hatten bereits gesehen, dass der Schlaf einen Kontrollverlust darstellt; als Entspannung ist er die »Abdankung des bewußten Wollens«2, eine Entspannung freilich, die verletzlich macht. Gilt diese Verletzlichkeit auch für Gott?
Hypnos
Bleiben wir zunächst im Vorhof der Heiden, etwa bei den Griechen, so erfahren dort, dass die Gottheit Hypnos (Schlaf) – ein Sohn der Göttin Nyx (Nacht) – sich sowohl auf Menschen als auch auf Götter legt; er wird darum auch Pandamator (›Allbezwinger‹) genannt.
Eine mächtige Gottheit also, und zudem ein Zwillingsbruder von Thanatos – dem Tod (auch auf diese Verbindung werden wir noch zu sprechen kommen). Doch wie sieht es aus, wenn wir das Heidentum hinter uns lassen und nach dem Gott Israels fragen. Wir wissen, dass Gott »ruhte am siebten Tag« (Genesis 2,2), aber schläft er auch?
Gottes Blick
Religionsphilosophisch ist die Antwort schnell gegeben: nein. Den Pantokrator (›Allherrscher‹), den allmächtigen und allwissenden Gott, berührt auch der Allbezwinger Hypnos nicht. Der Segenspsalm 121 zeigt uns jedoch, warum ein schlafloser Gott kein Grund zur Beunruhigung, sondern vielmehr zum Aufatmen ist. Hier der Psalm, weil er so schön ist, in seiner Gänze:
»Ich erhebe meine Augen zu den Bergen: Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt vom HERRN, der Himmel und Erde erschaffen hat. Er lässt deinen Fuß nicht wanken; dein Hüter schlummert nicht ein. Siehe, er schlummert nicht ein und schläft nicht, der Hüter Israels. Der HERR ist dein Hüter, der HERR gibt dir Schatten zu deiner Rechten. Bei Tag wird dir die Sonne nicht schaden noch der Mond in der Nacht. Der HERR behütet dich vor allem Bösen, er behütet dein Leben. Der HERR behütet dein Gehen und dein Kommen von nun an bis in Ewigkeit.« (Psalm 121)
Weltanschauliche Vereinnahmungen oder pädagogische Instrumentalisierungen, die sich den Pantokrator als Panoptiker zuhanden machen wollen (›Sei brav, Gott sieht alles!‹), verbieten sich. Das wachsame ›Auge Gottes‹ ist durchaus nicht das Auge auf der Ein-Dollar-Note oder das rollende Auge Saurons. Es streut nicht ruhelos den Scheinwerfer der Kontrolle aus, sondern ruht auf uns. Gottes Blick beobachtet nicht, er betrachtet. Wir müssen vor ihm nicht auf der Hut sein, vielmehr behütet er (wie Psalm 121 ja bereits deutlich macht).
Jemand, der nicht schlafen muss, wird uns wohl nie ganz geheuer sein – das muss der lebendige Gott auch nicht –, doch er ist kein Ungeheuer wie Argos. Hinzukommt, dass Gott sich selbst einen Streich gespielt hat, um doch einmal die Augen schließen zu können: er wurde Mensch.
2. Jesus schläft
In Jesus Christus wird Gott Mensch. Mit allem, was dazugehört (außer der Sünde). Das Jesuskind bildet sich, wie sie alle Embryonen (die übrigens bereits träumen) und später wie alle Säuglinge, vornehmlich durch viel Schlafen heran. Viele Eindrücke der Umwelt muss jetzt das Köpfchen verarbeiten, aus dem die Welt hervorging.
Als Erwachsener ist Jesus vielleicht kein Langschläfer, hat er doch »keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann« (Matthäus 8,20): jedenfalls kann er tief schlafen. Das bezeugt (noch im selben Kapitel) die Erzählung von der Stillung des Seesturms:
»Und siehe, es erhob sich auf dem See ein gewaltiger Sturm, sodass das Boot von den Wellen überflutet wurde. Jesus aber schlief.« (Matthäus 8,24)
Als die entsetzen Jünger ihn aufwecken, wandelt Jesus den Sturm in Stille. Und er mahnt die Seinen, sich keine Sorgen zu machen – ein Grundton seiner Verkündigung. Wir stehen hier vor einer eigenartigen Verbringung: denn neben dieser Sorglosigkeit ist auch die Wachsamkeit ein wiederkehrendes Thema in Jesu Verkündigung.
Wachet und betet
In vielen seiner Gleichnisse spricht Jesus vom Wachbleiben und noch am Abend vor seinem Tod bittet er die Jünger: Bleibt hier und wacht mit mir! Doch die Jünger schlafen ein:
»Und er ging zu den Jüngern zurück und fand sie schlafend. Da sagte er zu Petrus: Konntet ihr nicht einmal eine Stunde mit mir wachen?« (Matthäus 26,40)
Jesus hätte den Jüngern auch sagen können ›schlaft gut‹, das wäre bequemer. Manchmal jedoch lautet das Gebot der Stunde »aufzustehen vom Schlaf« (vgl. Römer 13,11), zu erwachen, ›nüchtern und wachsam‹ zu sein.3 Zur Tradition der christlichen Spiritualität gehören darum auch Fasten und Nachtwachen, nicht primär, wie heute wohl üblicher, für eine ›Entschlackung‹ des Körpers oder für das High beim ›Durchmachen‹, sondern als Einübung in die Wachsamkeit.
Sorglose Wachsamkeit
Wir sollen also wachen, doch ohne Sorge sein. Darin besteht eine der Spannungen der Nachfolge Christi. Nun kann aber niemand nur wachen – ja gerade der Wächter muss ordentlich schlafen, damit er seinen Dienst treu versehen kann.4 Darum gibt Gott nicht nur die Aufgabe, zu der einen Zeit zu wachen, sondern auch die Gabe, zu einer anderen Zeit: zu schlafen.
3. Gott gönnt Schlaf
Gott, der selbst nicht schlafen muss, gönnt seinen Geschöpfen den Schlaf. Alle müssen und dürfen schlafen. Vom Mops bis zu den Menschen – auch den Bösen, denn Gott »lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten« (Matthäus 5,45).5
Über Böse und Gute
»Das beste Kissen ist ein gutes Gewissen«, sagt das Sprichwort. Doch obschon nicht jeder den Schlaf der Gerechten schläft, holt der Schlaf alle ein. Schlafend sieht selbst ein Massenmörder aus wie ein Kind. Der Schlaf ist der große Gleichmacher. Mit einer Zeile des Rappers Cr7z gesprochen:
Auch der Härteste macht es sich Nachts auf einem weichen Kissen gemütlich.
Wie die Kinder
Im Schlaf werden wir wieder wie Kinder. Und wer einmal ein schlafendes Kind betrachtet hat, ahnt etwas von dem betrachtenden Blick Gottes, der liebend auf uns ruht. Gott gönnt uns den Schlaf, wie er uns das Leben gönnt. Es liegt an uns, ob wir auch hier ›werden wie die Kinder‹, und den Schlaf annehmen können.
Der Dichter Charles Péguy schreibt dazu:
»Das Kind denkt gar nicht daran, es weiß nicht, daß es am Abend schlafen wird. / Daß es am Abend vor Müdigkeit umsinken wird. Und doch ist’s dieser Schlaf, / Der stets bereit, stets zur Hand, stets gegenwärtig ist, / Der immer dahinter steht, wie ein reichlicher Vorrat, / […].«6
Kinder können, wenn ihnen das Urvertrauen nicht zerbrochen wurde, darauf vertrauen, dass ihre Eltern sie schon betten werden – das müde Kind bleibt nach der Reise einfach im Auto sitzen: es weiß, dass seine Eltern es durch den Halbschlaf tragen werden, bis es sich wundersam in seinem Bett wiederfindet.
Als Erwachsene müssen wir uns selbst zu Bett bringen. Doch können wir von Kindern jenen Glauben lernen, den es braucht, um loslassen zu können, ohne sich mit Schlafmitteln aller Art in den Schlaf wiegen zu müssen.7
Wer schläft, ehrt Gott.8 Also: die Sorgen nicht mit ins Bett nehmen, den Geist aufräumen und ruhen lassen, und die Aufgaben erst wieder hervorholen, wenn es Zeit ist, über sie nachzudenken.9
Diese Haltung des Vertrauen einzuüben und mit ihr den Schlaf zu gehen, bleibt ein Geschenk ebenso wie eine Lebensaufgabe; darum beten wir jeden Abend im Nachtgebet, der Komplet:
»Herr, auf Dich vertraue ich, / in Deine Hände lege ich mich Leben.«
Beim nächsten Mal werden wir die Schwelle zum Schlaf überschreiten und in das Reich der Träume eintreten.
Zum Abschluss hier noch ein bekanntes Lied aus Taizé, das die Bitte Jesu aufnimmt:
Gottes Segen und bis nächste Woche,
Letztes Wochenende war ich krank und konnte den Newsletter nicht fertigstellen.
Sertillanges, Antonin-Gilbert, Das Leben des Geistes. Sein Wesen, seine Bedingungen und Methoden, übers. v. Hans Broemser, Mainz: Matthias-Grünewald 1951, S. 78.
An den wunderbaren Begriff der Aufmerksamkeit, über den Simone Weil und andere so viel Gutes zu sagen wissen, soll hier vorerst nicht gerührt werden.
Vgl. Alain, Von der Liebe. Von der Arbeit. Vom Spiel, übers. v. Lonja u. Jacques Stehelin-Holzing, Düsseldorf: Karl Rauch 1962, S. 11: »Wird aber nach der eigentlichen Tugend der Nacht gefragt, so ergibt sich nicht zuerst Treue, sondern Ordnung. Denn kein Wächter kann aufmerksam bleiben ohne Schlaf. Selbst der heldenhaft Treue kann sich nicht geloben, wach zu bleiben: das weiß er aus Erfahrung, vielleicht der bittersten seines Lebens. Treue muß sich also auf Ordnung stützen das heißt auf organisierte Wachablösung und Dienstrunden.«
In C.S. Lewis’ The Magician’s Nephew lässt der Löwe Aslan (Christus) den bösen Onkel Andrews, der die Fülle Narnias nicht ertragen kann (wie die Kinder), einschlafen, damit er wenigstens etwas Ruhe findet (vgl. Lewis, C.S., The Complete Chronicles of Narnia, Pauline Baynes, London: HarperCollins Children‘s Books 2000, S. 67).
Péguy, Charles, Im Schweigen des Lichtes, übers. v. Oswalt von Nostitz, Freiburg: Herder 1982 [Texte zum Nachdenken 986], S. 96.
Die Musikgruppe des bekannten Songs Insomnia (›I can’t get no sleep‹) nennt sich passenderweise Faithless. Ohne Glaube kein Schlaf.
Gott liebt also die Schlafenden. Das betont auch Péguy und bemerkt dazu (etwas rau): »Wer nicht schläft, ist untreu der Hoffnung.« (Péguy, Im Schwiegen des Lichtes, S. 97)
Ein guter Freund hatte mir als Ergänzung zum letzten Mal – bzgl. Russels ›Zerdenken‹ der Sorgen – geschrieben, dass es in der Schlaftherapie sogar einen ›Grübelstuhl‹ gibt, auf den man sich setzt, bis man mit Grübeln ›fertig‹ ist, um dann wieder zu Bett zu gehen.