In der vergangen Woche haben wir nach dem ›Haus Gottes‹ gesucht. Wir haben über heilige Orte nachgedacht und gesehen, dass Gott nicht in Tempeln aus Stein, sondern in Personen wohnt, allen voran in Jesus Christus, von dem es im Johannesprolog heißt: Er hat unter uns gewohnt.
Heute werden wir betrachten, was Jesus über das Wohnen sagt, und wie er bei seiner ersten Ankunft unter uns wohnte.
1. Die Menschwerdung: Gott zieht ein
Gott wählt, um unter uns zu wohnen, den Weg, den auch jeder andere Mensch bei seinen ›Einzug‹ gehen muss, wenn er zur Welt kommt: er wird ein Baby im Mutterleib und schließlich geboren. Und einige heißen ihn auch willkommen: Maria und Josef, die Engel, die Hirten, die Könige – sie erkennen ihn.
Aber Jesus teilt auch von Beginn an die Leiden derer, denen die Menschen die Tür vor der Nase zuschlagen: Er wird geboren in einem Stall, weil in der Herberge kein Platz für ihn ist. Er stirbt außerhalb der Stadtmauern, weil man ihn in Jerusalem nicht haben will. Ein Ausgestoßener, vom Anfang bis zum Ende.
»Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.« (Johannes 1,11)
Vertrieben werden, eine Bleibe suchen, aufbrechen müssen, fremd sein – das sind also Erfahrungen, die Jesus kennt. Doch sind die Wanderschaft und die Unbehaustheit Jesu kein bloßes ›Schicksal‹, das ihn ereilt, sondern – spätestens in der Zeit seines öffentlichen Wirkens – ein frei gewählter Weg.
In Jesus Christus wohnt Gott unter uns, doch er tut es als Wanderer, als Gast:
»Er selbst ist nur Gast auf Erden; denn er kommt von Gott und geht zu Gott. Aber als Gast nimmt er ganz und gar Anteil am Leben der Menschen.«1
Er ist also wirklich da – ganz anders etwa als die griechischen Götter, wenn sie in Menschen- oder Tiergestalt die Erde besuchen. Doch er muss auch gehen, muss unterwegs sein. Er kann sich in der Welt nicht restlos einrichten und niederlassen, soll er doch gerade im Himmel einen Platz bereiten (vgl. Johannes 14,2) und den Weg dorthin bahnen.
Diese Mischung aus Da- und Unterwegs-Sein, finden wir programmatisch in der ersten Frage der ersten Jünger an Jesus, noch im ersten Kapitel bei Johannes, kurz nach dem erwähnten Prolog:
»Meister, wo wohnst du?«; Jesu Antwort: »Kommt und steht!« (vgl. Johannes 1,38f)
2. Das Wanderleben Jesu: Gott zieht umher
»Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann.« (Matthäus 8,20)
Schon in der Offenheit und Weite, mit der Jesus diese Worte von sich sagen kann, wird deutlich: Jesus ist kein Getriebener. Er flieht nicht, er wandert (vgl. Lukas 13,31ff).2 Nicht Rastlosigkeit und Unruhe sind der Motor seiner Wanderschaft. Vielmehr speist sich das Leben Jesu als Wanderprediger (übrigens auch Vorbild für unsere dominikanische Lebensform)3 aus einer Liebe, die auszieht, um beim Geliebten zu sein:
»Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten; mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und bei ihm Wohnung nehmen.« (Johannes 14,23)
Das Wohnen wird also bei aller Wanderschaft keineswegs abgewertet, sondern hingeordnet, weg von den falschen Feuern, hin zur himmlischen Heimat und zur Ruhe in der Liebe. In diesem Zusammenhang verwendet Jesus die Bildworte für das Wohnen überaus positiv: etwa wenn er seine Worte mit einem ›Haus auf dem Felsen‹ vergleicht (vgl. Matthäus 7,24-28) oder wenn er die, für Trauerfeiern oft gewählten, Worte spricht: Im Hause meine Vaters gibt es viele Wohnungen (vgl. Johannes 14,1-6).4
Jesus ruft seine Jünger radikal heraus aus ihrem Umfeld, ihrer Arbeit und ihren Familien. Heimelige innenweltliche Gefühle stehen für ihn nicht an erster Stelle. Doch immer wieder verbindet er die Wanderschaft und das Wohnen miteinander, etwa wenn er die Jünger auffordert, gerade in ihrer Exponiertheit Gastfreundschaft dankbar anzunehmen und die Wohnungen der Menschen zu segnen:
»Geht! Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Nehmt keinen Geldbeutel mit, keine Vorratstasche und keine Schuhe! Grüßt niemanden auf dem Weg! Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt als Erstes: Friede diesem Haus! Und wenn dort ein Sohn des Friedens wohnt, wird euer Friede auf ihm ruhen; andernfalls wird er zu euch zurückkehren. Bleibt in diesem Haus, esst und trinkt, was man euch anbietet; denn wer arbeitet, ist seines Lohnes wert. Zieht nicht von einem Haus in ein anderes! Wenn ihr in eine Stadt kommt und man euch aufnimmt, so esst, was man euch vorsetzt.« (Lukas 10,3-8)
Wanderschaft und Gastfreundschaft gehören also zusammen (nur wer unterwegs ist, kann Gast sein). Auch die frühen Christen haben keine Gettos gebildet, sondern ihre Häuser geöffnet.
Ob nun gemeinsam auf dem Weg oder gemeinsam im Haus, immer geht es um Beziehung: sich ziehen lassen und schließlich zusammenziehen.
3. Gott zieht uns & zieht mit uns zusammen
Wohnen bedeutet Nähe und bedeutet Besitz (Wohnung ›nehmen‹). Genau das will die Liebe. Doch will sie nicht einfach in den Raum des anderen einbrechen und ebensowenig in den eigenen Raum bloß locken. Sondern sie will Gemeinschaft, einen Raum der sich in der Begegnung öffnet: ohne Gewalt und ohne Tricks, freiwillig.
»Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin [d.h. am Kreuz], werde alle zu mir ziehen.« (Johannes 12,32)
Sören Kierkegaard, der diesem Satz in seiner Einübung im Christentum gleich sieben Abhandlungen gewidmet hat, kommentiert:
»Er will alle zu sich ziehen, denn er will niemanden zu sich locken.«5
Das Wohnen, auf das die Liebe zielt, lockt und verschlingt nicht – wie das Lebkuchenhaus – und bricht auch nicht gewaltsam in die Seele ein, und sei es mit den besten Absichten. Die Sanftmut und Demut Jesu, die er selbst als ›Ruhe für die Seele‹ verheißt (vgl. Matthäus 11,29), zeigt sich auch hier:
»Seine Heimatlosigkeit ist Ausdruck seiner Gewaltlosigkeit.«6
Anschaulich wird diese sanfte Weise Gottes, uns zu sich zu ziehen und selbst zu uns ziehen, in der Geschichte von Zachäus. Zachäus, der als Schuft gilt, will Jesus sehen, muss dazu aber, ob seiner geringen Größe und aus Scham vor den anderen, auf einen Baum klettern:
»Als Jesus an die Stelle kam, schaute er hinauf und sagte zu ihm: Zachäus, komm schnell herunter! Denn ich muss heute in deinem Haus bleiben. Da stieg er schnell herunter und nahm Jesus freudig bei sich auf. Und alle, die das sahen, empörten sich und sagten: Er ist bei einem Sünder eingekehrt. Zachäus aber wandte sich an den Herrn und sagte: Siehe, Herr, die Hälfte meines Vermögens gebe ich den Armen, und wenn ich von jemandem zu viel gefordert habe, gebe ich ihm das Vierfache zurück.« (Lukas 19,5-8)
Jesus braucht Zachäus nicht zu tadeln oder ihm Vorwürfe zu machen. Allein die Tatsache, dass er bei ihm zu Gast zu sein will, genügt, dass Zachäus sich freiwillig und ohne Zwang entschließt, sein Leben zu bessern.
»Da sagte Jesus zu ihm: Heute ist diesem Haus Heil geschenkt worden, weil auch dieser Mann ein Sohn Abrahams ist. Denn der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.« (Lukas 19,9f)
Nächste Woche wollen wir darüber nachdenken, wie es sich anfühlen kann, wie Zachäus ›Zuhause‹ zu sein. Die monastische Tradition hat dafür ein Wort gefunden: habitare secum – bei sich selbst wohnen.
Gottes Segen und bis nächste Woche, Maximilian Maria
Söding, Gottes Wohnung, S. 238.
»Das Johannesevangelium erklärt: Jesus ist nicht ein Mensch, der sich den Platz Gottes anmaßt, sondern in Jesus ist Gott Menschen geworden. / Die Heimatlosigkeit Jesu ist deshalb nicht Ausdruck von Unrast und Unsicherheit.« (Söding, Gottes Wohnung, S. 237) Von ›Unruhe‹ können wir bei Jesus und seinen Jüngern höchstens sprechen im Sinne der Liebe, von der Paulus später spricht: Caritas Christi urget me.
Auf das Gehen – ein spannendes Thema – werden wir später in der Reihe ja noch zu sprechen kommen. :)
Jesus hat ›Wohnrecht‹ beim Vater und kann darum wirklich zu ihm heimführen. Wir werden ›Hausgenossen‹ Gottes, statt bloß Bittsteller zu sein, die einmal zu einer Führung kurz hereinschauen dürfen: »Der Sklave aber bleibt nicht für immer im Haus; nur der Sohn bleibt für immer. Wenn euch also der Sohn befreit, dann seid ihr wirklich frei.« (Johannes 8,35f)
Kierkegaard, Sören, Einübung im Christentum. Zwei kurze ethisch-religiöse Abhandlungen. Das Buch Adler oder Der Begriff des Auserwählten, übers. v. Hans Winkler, Walter Rest u. Theodor Haecker, München: dtv (4. Aufl.) 2014, S. 169; ausführlicher: »Darin bestand ja das Christentum, daß nicht ein Reicher Arme reich macht, sondern daß der Ärmste von allen alle reich macht, und zwar sowohl Reiche als Arme. Und darin bestand das Christentum, daß nicht der Frohe die Betrübten tröstet, sondern der Allerbetrübteste. – Er will alle zu sich ziehen, denn er will niemanden zu sich locken.«
Söding, Gottes Wohnung, S. 237.