
Letztes mal hatten wir betrachtet, wie Männer und Frauen einander als ›ebenbürtige Hilfe‹ (Genesis 2,18) ergänzen. Heute gehen wir eine Ebene tiefer und betrachten, wie ein Mann oft erst durch die Hilfe einer Frau zu sich selbst kommt, die ihm Herz und Augen öffnet.
1. Das männliche Herz
Worin liegt der Schlüssel zum Herzen eines Mannes? Der Franziskanerpater Richard Rohr formuliert knapp wie treffend:
»Männer brauchen in der Regel nur eine einzige Sache, und das ist Respekt.«1
Das Herz eines Mannes gewinnt, wer ihm eine sinnstiftende Aufgabe und Anerkennung schenken kann. Das gilt für Freundschaften wie für Partnerschaften:
Wenn ein Mann andere Männer für eine Vision begeistern, leiten und ›Hype‹ erzeugen kann, so gewinnt er Gefährten (wie der Herr die Herzen seiner Jünger gewonnen hat – und die unseren). Wenn eine Frau einem Mann verklickern kann, dass sie ihn brauchen könnte, vielleicht sogar für ihr Lebensglück, so küsst sie ihn wach und gewinnt womöglich einen Partner.
Männer wollen nützlich sein
›Respekt‹ meint dabei nicht Bauchpinselei, sondern Ermutigung – etwa so:
Du bist noch nicht, was Du sein könntest. Aber ich sehe, dass aus Dir etwas werden kann. Und ich stehe auf der Seite von jenem Teil in Dir, der etwas werden kann. Kurz: Ich glaube an Dich. Du kannst es schaffen und ich will dir wohl.
Wer so spricht, spricht eine tiefe Sehnsucht im Herzen eines Mannes an: Ich werde nicht ›benutzt‹, doch bin nützlich. Ich werde nicht ›gebraucht‹, doch bin brauchbar.2
Eva spricht
Die Aussage einer Frau hat in diesem Kontext besonderes Gewicht. Sie erweckt als Partnerin, tröstet als Mutter, mahnt als Freundin. Erinnern wir uns, dass der biblische Name der Frau Eva ist, was Leben bedeutet. Das erklärt auch, warum junge Männer vor wenig so viel Angst haben – wie vor Frauen.3
Genauer müssten wir sagen: vor der Zurückweisung durch Frauen. Denn es ist eben nie nur jene individuelle Frau an der Bar – welchen Namen sie auch tragen mag – die dem Mann eine Abfuhr erteilt, sondern hinter ihr immer auch Eva/das Leben: ›Du dachtest Du bist gut genug? Falsch gedacht.‹ Da denkt sich mancher: ›Ehe ich das riskiere, lieber noch ein Getränk holen und mich daran festhalten.‹4
Realitätscheck
Auf der anderen Seite neigen Männer mitunter zur Selbstüberschätzung. Das illustriert eine erheiternde Umfrage, wonach vier Prozent der englischen und acht Prozent der amerikanischen Männer meinen, sie könnten in einem waffenlosen Zweikampf einen Gorilla, Löwen oder sogar Elefanten (!) besiegen.5
Eine Lektion in Demut (hoffentlich nicht durch einen Gorilla verabreicht) kann also angebracht sein, wenn aus dem Halbstarken ein Mann werden soll.
2. Vom Jungen zum Mann
Ein Junge wird nicht automatisch zum Mann. Viele Kulturen kennen darum Übergangsfeiern und Initiationsriten (frz. rites de passage). Solche Feiern, die oft Tod und Auferstehung nachvollziehen, finden sich nicht nur an der Schwelle vom Jungen- zum Mannsein – denken wir an die christliche Taufe und die Firmung.
Leben ist (auch) Leiden
Wohl wünscht sich niemand brutale Übergangsriten zurück, wie sie z.B. der spartanischen agogé nachgesagt werden. Doch auch heute müssen Jungen zu Männern werden, wollen sie nicht in einem Limbus der Adoleszenz gefangen bleiben.
Für diesen Schritt gilt es nach Richard Rohr fünf Botschaften zu erfassen: 1) Das Leben ist hart. 2) Du wirst sterben. 3) Du bist nicht so wichtig. 4) Du hast nicht die Kontrolle. 5) Dein Leben dreht sich nicht um Dich.6
Zum Glück werden diese ziemlich harten Worte abgefedert oder besser beflügelt – und zwar wiederum durch die Frau, die den Mann ruft, über sich hinauszuwachsen.
Frau Abenteuer
Der junge Ritter Parzival begegnet auf seiner Reise ›Frau Abenteuer (Âventiure)‹. In den großen Ritterromanen bezeichnet das Abenteuer »sowohl den Zufall als auch das Schicksal«7. Es ist Welt- und Selbstbegegnung, »das Hereinbrechen von etwas Geheimnisvollen oder Wunderbaren in das Leben eines bestimmten Menschen, im Positiven wie im Negativen«8.
In den Mythen und Märchen ist es oft die Frau, die als wunderbares Geheimnis in das Leben des Mannes einbricht. Sie trägt dem Helden die Rätsel und Aufgaben auf, die er bestehen muss. Sie wartet und wählt aus. Oft lautet dabei die Frage: Wie heiße ich?

Frauen sind also keineswegs passiv wie Dornröschen, sondern spielen oft eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, einen Jungen seiner Selbst bewusst und dann als Mann auch selbstbewusst zu machen.
Die Frau kann seine Muse sein, die ihn inspiriert (und mitunter auch zusammenfaltet wie Beatrice ihren Dante am Gipfel des Läuterungsbergs). Trotzdem kann eine vollständige Initiation ins Mannsein notwendig nur durch andere Männer erfolgen. Der Mentor ist also eher ein Mann.
Brauchen nur Männer Initiation?
Hier stellt sich die Frage, ob nicht Frauen Initiation ebenso bräuchten wie Männer. Die Antwort darauf scheint mir zu lauten: Nein; weil sie diese stets schon erhalten.
Frauen werden durch ihre Biologie ziemlich unsanft mit dem Erwachsensein konfrontiert: das Bewusstsein, schwanger werden zu können, und die sichtbaren Blutungen lassen keinen Zweifel daran, dass das Leben ernst und der eigene Leib komplex und verletzlich ist.
Beim Mann sieht das anders aus: ein bisschen mehr Haare und Muskeln, dann der Stimmbruch – das war’s. Die Geschlechtsreife und den ersten Samenerguss nimmt man auch mit – fühlt sich schließlich gut an; erinnert aber nur entfernt weil äußerlich daran, dass man jetzt ›irgendwie verantwortlich‹ ist und Leben zeugen kann.
Beim Mann muss also die Kultur ›nachhelfen‹, ihn an seine Verantwortung zu erinnern. Sonst verhält er sich auch mit Mitte Zwanzig noch wie mit Zwölf und bleibt blind für seine Berufung vor Gott und den Menschen.
3. Der männliche Blick
»Die Frau mit ihrer der männlichen so unähnlichen Psychologie ist (und war stets) eine Quelle der Information über Dinge, für die der Mann keine Augen hat.«9
So schreibt C. G. Jung über die Frau als ›Augenöffnerin‹ des Mannes. So nehmen Frauen z.B. im Zwischenmenschlichen erfahrungsgemäß mehr wahr als Männer. Solche Feststellungen bergen jedoch auch die Gefahr, das ›Sonderwissen‹ der Frau auf reine Gefühligkeit zu reduzieren.
Blinde Flecken
Tatsächlich sind gerade in der Philosophie Frauen in dieser Weise seit der Antike abgewertet worden.10 Und das obschon es Gegenbeispiele gibt wie Athene, die als Inbegriff der Klarheit und des bewussten Denkens, als Kopfgeburt dem Göttervater Zeus entspringt; oder der Umstand, dass die Sophia (= Weisheit) weiblich ist. Auch in der Bibel erscheint die Weisheit als Dame.
Der männliche Blick kann sich zu einem dösenden Androzentrismus verengen, der vielfach durch den Feminismus wachgerüttelt werden musste (darauf werden wir in einem späteren Beitrag noch zurückkommen).
Der liebevolle Blick
Der männliche Blick sollte jedoch auch nicht verteufelt werden. Denn der Mann kann auch mit Liebe auf die Frau blicken (ob als Bräutigam, Vater oder Freund): wie Adam, der sich an Eva freut (und nicht bloß ›über‹ sie).
Er trauert nicht seiner Rippe hinterher, sondern weiß sich ins Abenteuer gerufen:
Darum verlässt der Mann Vater und Mutter und hängt seiner Frau an und sie werden ein Fleisch. (Genesis 2,24)
Dieses ›Anhängen‹ an die Frau werden wir im nächsten Beitrag betrachten. Denn auch dabei tut sich ein blinder Fleck auf: Adam wird zwar durch Gott belebt und durch Eva begeistert. Er lebt auf und wacht auf. Doch er hätte auch wach bleiben müssen. Dann hätte er die Schlange bemerkt.
Gottes Segen und bis bald,
Rohr, Richard, »Parzival und die Suche nach dem Gral«, in: Rohr, Richard/Fthenakis, Wassilios E./u. a., Vater, Sohn und Männlichkeit. Wie der Mann zum Mann wird, Kevelaer: topos plus 2008 [topos taschenbuch 661], S. 91-104, hier S. 103.
Wir werden, wenn wir auf die sogenannte ›Toxische Männlichkeit‹ zurückkommen, noch sehen, wie sehr es Männer bricht und vergiftet, wenn ihnen suggeriert wird: ›Wir brauchen Dich nicht.‹
Das wusste schon das Hohelied im Alten Testament: Wer ist, die da erscheint wie das Morgenrot, / wie der Mond so schön, strahlend rein wie die Sonne, / Furcht erregend wie Heerscharen? (Hohelied 6,10)
Hinzukommt, dass es heute kein ›Skript‹ mehr gibt, wie das Dating, also die Initiation in eine romantische Beziehung, eigentlich abzulaufen hat. Ähnliches gilt für den Sex: In vorpornografischen Zeiten waren junge Frauen und Männer einander natürlicherweise diejenigen, die mit- und aneinander ihre Sexualität entdeckten. Heute ist über die Aufklärung durch Pornografie alles schon gesehen gewesen, ohne das dadurch Orientierung geschaffen wurde.
Vgl. Hübl, Moralspektakel, S. 65, dort Anm. 24.
Rohr, Richard, »Vom Jungen zum Mann. Die Wiederentdeckung von Initiationsritualen in unserer Zeit«, in: Rohr/Fthenakis/u. a., Vater, Sohn und Männlichkeit, S. 105-177, hier S. 114ff. Eine moderatere Modifikation findet sich in folgendem schönen Podcast: <https://www.artofmanliness.com/people/fatherhood/how-to-turn-a-boy-into-a-man/>.
Agamben, Giorgio, Das Abenteuer. Der Freund, übers. v. Andreas Hiepko, Berlin: Matthes & Seitz 2018 [Fröhliche Wissenschaft 94], S. 23.
Agamben, Das Abenteuer, S. 22f; Agamben deutet sie als Personifikation des Erzählens selbst: »Âventiure tritt im Laufe der Geschichte auf, weil sie, anders als die Muse, keine numinose Macht ist, die vor der Erzählung existiert und dem Dichter das Wort eingibt: Vielmehr ist sie die Erzählung, lebt nur in und durch sie. Die Frau erteilt nicht das Wort, sie selbst ist das Sprechereignis – nicht die Gabe der Erzählung, sondern die Erzählung selbst.« (ebd., S. 34) Das ist nicht nur poetologisch relevant, sondern bedeutet, »dass das Abenteuer eine eigenständige Seinserfahrung darstellt« (ebd., S. 35).
Jung, Die Beziehungen zwischen dem Ich und dem Unbewussten, S. 81.
Vgl. Gerl-Falkovitz, Frau – Männin – Menschin, S. 41-53.