Vergangene Woche hatten wir betrachtet, wie Gott in Jesus Christus unter uns gewohnt hat, und im Heiligen Geist in uns wohnt. Die christliche Spiritualität kennt darüber hinaus das Ideal des ›Wohnens bei sich selbst‹, lateinisch Habitare secum.1
Heute gehen wir darum ›weiter ins Innere‹ und fragen uns, ob auch wir selbst in uns wohnen können, was uns dabei im Weg stehen mag, und wie es uns gelingen könnte.
1. Die Seelenburg
Die Seele metaphorisch als ein Haus zu beschreiben (keine christliche Erfindung) ist ein geistlich fruchtbares Bild. Die große Mystikerin Theresa von Avila beispielsweise wählt es in ihrem Spätwerk Wohnungen der Inneren Burg als Ausgangspunkt für den inneren Weg:
»nämlich unsere Seele als eine gänzlich aus einem einzigen Diamanten oder sehr klaren Kristall bestehende Burg zu betrachten, in der es viele Gemächer gibt, so wie es im Himmel viele Wohnungen gibt (Joh 14,2)«2.
Durch das ›Tor‹ des Gebets führt dann der Weg über konzentrische Kreise immer weiter ins Innere und in die Beziehung mit Gott. Sich für ruhige Momente und für das Gebet solche ›Räume‹ zu erschließen (wie in vielen Betrachtungsmethoden oder ›Phantasiereisen‹), ist tatsächlich eine kostbare Erfahrung, die man nur empfehlen kann.
Doch wissen wir aus dem Alltag auch, dass das Tor in eine innere Ruhe oft verstellt, versperrt oder gar verschüttet ist. Um ›bei uns zu wohnen‹, müssen wir zuerst zweier Spannungen Herr werden, die unser Haus verbauen oder erschüttern können: einmal der Spannung zwischen drinnen und draußen sowie der Spannung zwischen oben und unten. Wenn wir auf sie die rechte Antwort geben, gelingt uns das Habitare secum.
2. Drinnen & Draußen
a. Zerfasert
Ablenkung und Unruhe sind in unserer medienübersättigten Zeit bekanntlich an der Tagesordnung. In jedem Moment, der ein ruhiger werden könnte, juckt entweder das Smartphone, sich in einem Strudel aus Nichtigkeit zu verlieren, oder die To-Do-Liste meldet sich vorwurfsvoll und brummt einem im Kopf herum.
Alles summt, zieht und zerrt; dass es eine ›innere Burg‹ geben könnte, scheint gerade in Belastungsphasen wie hinter Nebel verborgen; wie ein Märchenschloss, von dem man nicht einmal mehr weiß, ob es je existiert hat.
b. Sich sammeln
Die Antwort auf diese Zerfaserung ist die Sammlung: Zeiten der Stille, des Gebets, des Nichtstuns, der Sabbatkulur. Das mag wenig überraschen, muss aber betont werden, da die restlose Hingabe an das ›Draußen‹ keine harmlose Sache ist, sondern eine Verwahrlosung der inneren Burg, die im burn out schließlich dessen Niedergang bedeutet. Sammlung ist also kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit.
Mit eindrücklichen Worten beschreibt es der Philosoph Dietrich von Hildebrand:
»Unser Leben ist meist ein ständiges Herausfallen aus dem ›habitare secum‹, ein Sich-Verlieren an die jeweilige Situation und ihre Eigengesetzlichkeit, ein Vergessen des eigentlichen und letzten Sinnes unserer Existenz. In dieser ungesammelten Haltung leben wir nicht wirklich, wir aktualisieren entweder nur die Peripherie oder bloß einen Teil unseres tieferen Wesens; trotz der intensiven Konzentration auf irgend etwas, trotz der wachsten Aufmerksamkeit, schlafen wir doch in unserem tieferen Sein, sind nicht ganz vorhanden. Nur der Gesammelte ist wirklich wach, und nur der Wache lebt im eigentlichen und vollen Sinn des Wortes.«3
Die zweite Spannung besteht im ›Oben‹ und ›Unten‹ innerhalb der Seele – denn auch dort ist bekanntlich viel los.
3. Drunter & Drüber
Wenn man es schafft, sich vor dem Verpflichtungen einmal zu retten und nach ›drinnen‹ zu gelangen, muss man feststellen, dass es auch dort drunter und drüber geht. Als psychologisches Bild eignen sich hier besonders der oberste sowie der unterste Raum des Hauses: der Dachboden und der Keller.
a. Dachböden & Keller
Beide haben praktische Funktionen: meist werden hier etwa die Wäsche oder die Vorräte, also die Grundversorgung ausgelagert. Sie sind Speicher – und also solche auch Orte des Unbewussten und vielleicht Verdrängten, die man selten (oder auch ungern) besucht; Orte, an denen die Zeit stillzustehen und eingefroren scheint.
›Zeugs‹ sammelt sich hier an, Altlasten und Plunder, doch ebenso kostbare Erinnerungen. Denn nicht alle Bündel an Vergangenheit sind von gleicher Qualität: manches wird schlichtweg vergessen, anderes aus Platzgründen lediglich beiseite geschafft, wieder anderes (wie Kinderspielzeug) der Zukunft aufbewahrt.
Der Dachboden scheint eine etwas freundlichere Atmosphäre zu haben als der Keller (vielleicht weil man auf ihn hinauf-, und nicht hinabsteigen muss); wenn genug Platz ist, ist der Dachboden vielleicht sogar ein Ort für das Spiel oder ein Hobby.
Im Keller hingegen (lat. celare = ›verstecken, geheim halten‹) können die Dinge ein Eigenleben entwickeln und behausen als Monster die kindliche Phantasie und als Schatten den erwachsenen Geist. In Kellerräumen sind Rausch und Exzess zuhause. So führen beispielsweise Diskotheken meist unter die Erde. In ihren dunkelsten Tönen stehen Keller aber auch für Gewalt, Folter und Missbrauch. Manche Seelen haben Keller, die Verliese sind; Orte, an die man ganz sicher nicht gehen möchte. Doch auch an diese Orte müssen wir uns wagen, wenn Ruhe im Haus herrschen soll.
b. Mutig erkunden
Jeder geistliche Weg führt auch ›hinab zu den Pforten der Unterwelt‹, wie es Dante am Beginn seiner Reise durch die Hölle erleben muss. Doch nur, wenn wir mutig erkunden, keine Angst haben, in die Abgründe der Welt und der eigenen Seele zu blicken. Dann können wir wie Dante immer tiefer durch die Höllenringe schreiten um am Ende, wie er, ins Frei zu kommen. Auch müssen wir (wie Dante, dem Vergil zur Seite steht) die Reise nicht allein antreten: Freunde, Familie und allen voran Christus sind Gefährten, die auch im Dunkel bleiben:
»Was kann uns scheiden von der Liebe Christi?« (Römer 8,35)

In vielen Videospielen wird die Aufgabe, auch ängstigende Orte zu erkunden, anschaulich in der Spielmechanik der ›Dungeons‹. Solche Dungeons (wörtl. ›Kerker, Verlies‹) sind separierte Räume (Instanzen) und führen den Spieler meist an unterirdische Orte, in die man immer tiefer hinabsteigen muss. Monster aller Art tummeln sich dort.
Je nach ›Darkness‹ des Fantasy-Settings werden die Dungeons als leichtfertiger Siegeszug (wie etwa im späten World of Warcraft) oder als Horrortrip durch entsetzliche Höllennester gestaltet (wie in den Souls-Spielen).
Doch haben Dungeons stets gemeinsam, dass sich in ihnen besonders wertvoller Loot findet; also Belohnungen wie Waffen, mit denen der Spieler für das nächste Dungeon dann schon etwas besser gerüstet ist. Darüber hinaus kann man in vielen Spielen die Dungeons auch gemeinsam betreten und sich als Gruppe der Gefahr stellen.
›Gemeinschaft‹ wird das Stichwort sein, mit dem wir beim nächsten mal weiter über das Wohnen nachdenken, genauer über die Gastfreundschaft. Denn was würde es nützen, bei sich selbst zu wohnen, wenn niemand zu Besucht kommt? ;)
Gottes Segen und bis nächste Woche, Maximilian Maria
Vgl. zur Geschichte des Begriffs ausführlicher https://de.wikipedia.org/wiki/Habitare_secum sowie dort verfügbar https://abtei-kornelimuenster.de/doc/Tibi2014HabitareSecum.pdf [Abruf: 19.04.2024].
Teresa von Avila, Wohnungen der Inneren Burg, übers. v. Ulrich Dobhan u. Elisabeth Peeters, Freiburg: Herder (2. Aufl.) 2007 [Werke 4], S. 78 (1M 1,1). Die konzentrisch angelegten ›Wohnungen‹ sind stets im Plural, bilden also keine starre Blaupause für den inneren Weg, sondern eher eine Reise (vgl. ebd., S. 77, dort. Anm. 1).
von Hildebrand, Dietrich, Die Umgestaltung in Christus, [Gesammelte Werke 10], Regensburg: Josef Habbel 1971, S. 83. Die ganze Spannung von vita activa und vita contemplativa tut sich hier auf. Sie wird in Zukunft sicher noch einmal Thema werden. :)