
Das Bild zeigt uns eine Szene der Erschöpfung, über der doch ein Frieden liegt. Josef und Maria sind mit dem Jesuskind unterwegs nach Ägypten. Sie fliehen vor Herodes, der dem Kind nach dem Leben trachtet. Josef hält ein Gefäß mit Wasser, mit dem er Maria eine Schale gefüllt hat, die sie nun Jesus reicht. Auch der Esel darf trinken.
Als ›Ruhe auf der Flucht‹ ist diese Konstellation der sogenannten ›Heiligen Familie‹ ein beliebtes Kunstmotiv (ich habe unten weitere Bilder eingefügt, die sich allesamt in Wien finden lassen). Heute betrachten wir Josef, den Ziehvater Jesu. Er passt in unsere Reihe zu einer Theologie des Schlafens, weil er vor allem eins war: ein großer Träumer.
1. Josef träumt
Rufen wir uns zu Beginn Josefs Geschichte1 in Erinnerung:
»Mit der Geburt Jesu Christi war es so: Maria, seine Mutter, war mit Josef verlobt; noch bevor sie zusammengekommen waren, zeigte sich, dass sie ein Kind erwartete - durch das Wirken des Heiligen Geistes.« (Matthäus 1,18)
Josef, der ›Mann Marias‹ (Matthäus 1,16) taucht nur in den Evangelien auf, und auch dort nur bei Matthäus und Lukas. Wie war er?
»Josef, ihr Mann, der gerecht war und sie nicht bloßstellen wollte, beschloss, sich in aller Stille von ihr zu trennen.« (Matthäus 1,19)
Ein aufmerksamer Mann
Ein anständiger Mann also – und ein bedachter Mensch: er denkt gründlich über die Geschehnisse nach und trifft überlegte Entscheidungen. Sein Geist ist so wach, dass er noch im Schlaf aufmerksam bleibt. So kann er im Traum Gottes Stimme vernehmen (genauer: die eines Engels; Josefs Träume sind ›Angelophanien‹: Gott erscheint nicht selbst, sondern sendet einen Engel (Angelos = Bote)).
»Während er noch darüber nachdachte, siehe, da erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sagte: Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist. Sie wird einen Sohn gebären; ihm sollst du den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen. […] Als Josef erwachte, tat er, was der Engel des Herrn ihm befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich.« (Matthäus 1,20f. 24)2
Bedacht, nicht bedächtig
Josef ist nicht der einzige, zu dem Gott auf diese Weise spricht: auch die Sterndeuter (besser bekannt als die ›heiligen drei Könige‹) werden im Traum gewarnt, König Herodes nichts von Jesus zu erzählen (vgl. Matthäus 2,12).
Doch Josef, der ja im wörtlichen Sinne den ›Schlaf des Gerechten‹ schläft, vollendet die Meisterschaft des Träumens. (Es gibt sogar ein eigenes Gebet zum schlafenden Josef.3) Noch weitere dreimal wird er im Traum gewarnt (vgl. Matthäus 2,13. 19. 22) und kann so rechtzeitig nach Ägypten fliehen und nach dem Tod des Herodes seine Familie sicher zurückbringen.

2. Josef steht im Hintergrund
Josef wird im Hintergrund dargestellt, wie er irgendeine Tätigkeit ausübt.4 Im Fokus stehen stets Maria und das Jesuskind, häufig beim Stillen. Der Jesuit Alfred Delp schreibt über Josef:
»Er ist der Mann am Rande, im Schatten. Der Mann der schweigenden Hilfestellung und Hilfeleistung. Der Mann, in dessen Leben Gott dauernd eingreift mit neuen Weisungen und Sendungen. Die eigenen Pläne werden stillschweigend überholt.«5
Ein schweigsamer Mann
Das Wort ›stillschweigend‹ beschreibt das ganze Leben Josefs: denn obschon er geredet haben dürfte – er vertraut ja Gott und wird nicht mit Stummheit geschlagen wie Zacharias –, überliefern die Evangelien uns keines seiner Worte.
›Stillschweigen‹ breitet sich auch über seinen Tod. Lukas (2,41-52) berichtet noch davon, dass Josef und Maria den zwölfjährigen Jesus im Tempel suchen; zu dieser Zeit ist also Josef noch am Leben. Wann und wie er später gestorben ist, wird nicht erwähnt – er ›entschläft‹ wirklich, und ist auch Patron für einen guten Tod.
Und doch ist Josef kein unbekannter Heiliger, sondern dürfte, zumindest in Kindheitserinnerungen, durch die Weihnachtsgeschichte (›Es begab sich aber zu der Zeit…‹) oder die Krippenspiele mit ›Maria und Josef‹ wohl zu den populärsten Heiligen zählen. Seit 1870 ist er zudem Patron der gesamten Kirche; 1955 wurde der 1. Mai zum Fest des hl. Josef des Arbeiters erklärt.
Ein alter Mann?
In der christlichen Kunst wird Josef meist als alter Mann dargestellt.6 Dieser gestalterische Kunstgriff ermöglicht es zum einen, ihn in seiner väterlichen Rolle als Ziehvater Jesu auszuweisen, und zum anderen, seine Enthaltsamkeit plausibel zu machen;7 denn was will ›Opa Josef‹ schon von Maria?
Doch stammt die Beschreibung Josefs als ›80jähriger Witwer‹ aus apokryphen Quellen, nicht aus den Evangelien. Es wäre also ebenso möglich, sich Josef einfach als jungen verheirateten Mann zu denken.
Über eine Theologie der Männlichkeit möchte ich zu seiner Zeit gerne eine eigene Newsletter-Reihe schreiben, doch will ich im Folgenden kurz auf einige Kritikpunkte eingehen, die sich an der Figur Josefs entzünden könnten.

Exkurs: Christliche Männlichkeit
Man mag (gerade als Mann) versucht sein, in Josef nicht wirklich ein Vorbild zu sehen; einen gehörnten Ehemann, der sich zum Narren halten lässt; einen schwachen Mann ›in den Schatten‹, aufs Abstellgleis gestellt; Inbegriff der Herden- und Sklavenmoral des Christentums. Dazu einige Anmerkungen.
Gegen die Selbstherrlichkeit
Tatsächlich räumt Josef auf mit männlicher Selbstherrlichkeit (etwa der des römischen pater familiaris). Er steht nicht im Mittelpunkt und weiß das. Die ›main character vibes‹, wie man heute sagt, kommen allein Maria und dem Kind zu; Josef zieht den Esel, schöpft das Wasser.8
Er ist der Sidekick, ein Nebencharakter. Und trotzdem ist er kein ›NPC‹ (nicht spielbarer Charakter), sondern ein Protagonist der Geschichte; der Engel spricht schließlich zu ihm persönlich – er hätte auch Maria alles übermitteln lassen können, doch Josef bekommt eine spezifische, allein an ihn adressierte Berufung.
Er war nicht selbst das Licht
›Der‹ Protagonist der Geschichte ist auch nicht Maria, sondern Jesus. Dass Josef neben den beiden etwas bedröppelt, wie das ›fünfte Rad am Wagen‹, und ›unterbelichtet‹ dasteht, liegt daran, dass das Licht für den Moment allein von der Krippe ausgeht (wie es auf Weihnachtsgemälden tatsächlich der Fall ist).
Das wird ihn aus nicht sonderlich stören – wie mir ein junger Vater und guter Freund (und zwar positiv gemeint) einmal sagte:
»Bis zum Heiratsantrag geht es nur um dich; bis zur Hochzeit geht es nur um deine Frau; danach geht es nur noch um das Kind.«
Wer Vater wird, tritt nicht aus Schwäche einen Schritt zurück, sondern aus einem Staunen über das Wunder, das sich vollzieht: ›Diese Frau dort trägt einen neuen Menschen im Arm – und ich bin für ihn/sie verantwortlich.‹
Wer Vater wird, sieht einen Stern aufgehen. Das Ego des Narzissten, der selbst ›Star‹ sein und sich tönend in Szene setzen muss, würde selbst den ganzen Stall ausfüllen, statt Raum zu geben für das Wunder.
Würde und Dienst
Josef tritt also zurück und gibt Raum. Doch er ›zieht‹ sich nicht zurück in Schwäche oder Ressentiment. Das zeigt sich schon an der Art und Weise, wie er an Maria handelt, ehe er vom Plan Gottes erfahren hat.
Er beschließt zunächst, Maria aus der Ehe zu entlassen. Das zeigt einmal seine Gerechtigkeit und Liebe, denn er hätte auch seine Kränkungen kultivieren und Maria, entsprechend der damaligen Gesetze, als Ehebrecherin steinigen lassen können. Und es zeigt zweitens, dass Josef eben keine Witzfigur im Sinne des gehörnten Ehemanns, sondern sich seiner Würde als Mann durchaus bewusst ist: ›Mit einer Frau, die mich betrügt, lebe ich nicht zusammen‹.
Gottes Wille
Josef ist nicht auf seine Frau ausgerichtet, sondern auf Gott. Er weiß, dass die Kinder Gottes »nicht aus dem Willen des Mannes«, und ebenso wenig aus dem Willen der Frau, »sondern aus Gott geboren sind« (vgl. Johannes 1,13).
Das unterscheidet seinen marianischen Feminismus (wenn ich so sagen darf) von Männern unserer Tage, die es für weitsichtig halten, sich die eigene Verdrängung durch Capitan Marvels oder andere Girlbosse als Fortschritt verkaufen zu lassen. Kein ›future is female‹, sondern das Reich Gottes sieht Josef vor sich. Er dient seiner Frau, weil er ihre große Berufung erkennt, und sie liebt.
3. Josef geht
Josef ist ein Träumer, der aufmerksam auf Gott ausgerichtet ist. Dabei verbindet er die (für Männer wohl kaum typische) Eigenschaft, ein guter Zuhörer zu sein mit den klassischen Attributen des ›Schweigsamen‹ und des ›Machers‹. Er lebt nicht ›seinen Traum aus‹, sondern setzt um, was er im Traum hört. Von einem jungen Mann habe ich neulich gehört, dass er tagtäglich nur ein einziges Gebet betet:
»Your will be done in my life.«
Mehr braucht es nicht. Hören und Gehorsam fallen bei Josef (wie im Sh’ma Israel) in ein Wort zusammen. Es ist ein erhebender Gedanke, dass Jesus diese Haltung, die ihn in seiner letzten Prüfung mit dem Vater (»Dein Wille geschehe«) getragen hat, auch von seinem Ziehvater gelernt hat – Papst Franziskus sagt dazu:
»Man könnte sagen, dass er [Josef] die ausgestreckte Hand des himmlischen Vaters für seinen Sohn auf Erden war.« (Botschaft zum 58. Weltgebetstag um geistliche Berufungen)
Josef stellt keine Rückfragen, obschon der Engel ihm keine Wegbeschreibung mitgibt. Kein Google-Maps-Standort, kein GPS, keine näheren Auskünfte über Route, Ziel, Unterkunft, Verpflegung usf. Er ist die Verkörperung des Sprichworts ›Ein Mann, ein Wort‹; sein Leben spricht für sich, wie Hans Urs von Balthasar schreibt:
»Aber es ist gut, daß er zu dem klaren Umriß seiner Gestalt nicht ein einziges Wort der Selbstdeutung beigefügt hat. Das Wort, das Gott mit ihm spricht, bedarf dieser nicht.«9
Josef denkt nicht über sich selbst nach und redet auch nicht von sich. Er hört zu und handelt, nochmals mit Alfred Delp gesprochen:
»Er ist der Mann, der sich eine bergende Häuslichkeit im stillen Glanze des angebeteten Gottes bereiten wollte und der geschickt wurde in die Ungeborgenheit des Zweifels, des belasteten Gemütes, des gequälten Gewissens, der zugigen und windoffenen Straßen, des unpässlichen Stalles, des unwirtlichen fremden Landes. Und er ist der Mann, der ging.«10
Josef war das, worüber wir uns heute oft so leichtfertig lächerlich machen, und wovon wir viel mehr bräuchten: er war ein guter Mann.

Nächste Woche werden wir die Reihe zum Schlafen beschließen und noch einmal auf die Frage nach dem guten Schlaf zurückkommen.
Gottes Segen und bis nächste Woche,
Es könnte auch heißen, die ›Josefs‹ träumen. Denn auch der Josef des Alten Testaments ist ein Träumer, genauer ein Traumdeuter. Beide verbindet zudem, dass Ägypten – eigentlich ein Ort des Fluchs – für sie gerade zum Ort der Rettung wird.
Theologisch als ›Nachkomme Davids‹ vorgestellt (vgl. Mt 1,1-16; Lk 3,23-31), adoptiert Josef Jesus.
Den Hinweis auf dieses Gebet verdanke ich unserem (Noch-)Novizen fr. Josef M. :) »O hl. Josef, du bist ein Mann, der vom Höchsten sehr bevorzugt wurde. Der Engel des Herrn erschien dir im Traum, während du geschlafen hast, um dich zu warnen und dich zu führen, während du dich um die Heilige Familie kümmertest. Du warst beides, still und stark und ein treuer und mutiger Beschützer. Lieber hl. Josef, wenn du im Herrn ruhst und auf Seine absolute Kraft und Güte vertraust, schau mich an. Bitte nimm meine Not in dein Herz, träume davon und präsentiere es deinem Sohn (erwähne deine Bitte). Hilf mir dann, guter hl. Josef, die Stimme Gottes zu hören, aufzustehen und mit Liebe zu handeln. Ich preise Gott und danke Ihm mit Freude. Heiliger Josef, ich liebe dich. Amen.«
Gerade in mittelalterlichen Darstellungen kommen leider auch noch antisemitische Blicke hinzu: Josef wird mit ›Judenhut‹ sowie kleinlich-unbedeutsam dargestellt.
Delp, Alfred, Im Angesicht des Todes, hrsg. v. Andreas R. Batlogg u. Richard Müller, Würzburg: Echter (4. Aufl.) 2020 [Ignatianische Impulse 21], S. 39.
Es gibt auch Darstellungen eines ›jungen Josef‹; in Braunschweig habe ich einmal dieses Bild von Jacob Jordaens gesehen <https://kulturerbe.niedersachsen.de/objekt/isil_DE-MUS-026819_opal_herzanulm_kunshe_GG117> (über Geschmack lässt sich streiten).
Josef wird (wie übrigens auch Dominikus) mit einer Lilie dargestellt, als Bild für die Keuschheit. Vgl. Matthäus 1,25»Er erkannte sie aber nicht, bis sie ihren Sohn gebar. Und er gab ihm den Namen Jesus.« Es gibt eine Diskussion darüber, ob Josef und Maria enthaltsam lebten (Josefsehe) oder ob sie nach der Geburt Jesu gemeinsame Kinder hatten.
Vgl. Balthasar, Hans Urs von, Du hast Worte ewigen Lebens. Schriftbetrachtungen, Einsiedeln/Trier: Johannes 1989, S. 44: »Erst da die Erklärung von oben erfolgt, sieht Joseph, wie wenig das Geheimnis Marias ohne sein Mitwirken durchführbar gewesen wäre. Es ist nicht gut, wenn der Mann sich von vornherein unentbehrlich vorkommt.«
Balthasar, Schriftbetrachtungen, S. 44.
Delp, Im Angesicht des Todes, S. 40.