Zu Gast auf Erden: Warum unsere Heimat im Himmel sein sollte
Reihe: Eine Theologie des Wohnens 🏡

Neulich habe ich mir einen Vormittag Zeit genommen, um hier in Wien das Kunsthistorische Museum zu erkunden. Nach intensiven Stunden voller Eindrücke, stand ich schließlich – erschlagen und doch glücklich – vor einem der Schätze des Museum: dem weltberühmten Turmbau zu Babel von Pieter Bruegel.
Die Geschichte vom Turmbau zu Babel (in Genesis 11,1-9) steht sinnbildlich für eine Menschheit, die sich ein Standbild errichten und damit in der Welt einrichten will: In der Leistung des Menschen, nicht in der Beziehung zu Gott, sollen sich Himmel und Erde berühren; alles soll Artefakt sein, menschgemacht.
Heute wollen wir prüfen, ob sich auf einem solchen Fundament ein sicheres Haus bauen lässt, in dem man auch wohnen kann.
1. Utopie statt Jenseits?
Große Religionskritiker wie Marx und Nietzsche haben dem christlichen Glauben vorgeworfen, die Menschen auf ein Jenseits zu vertrösten, sie als ›Opium des Volkes‹ ruhigstellen, und so daran zu hindern, das Diesseits aktiv zu gestalten. Die Hoffnung auf ein Jenseits sei darum zu ersetzen durch Gegenentwürfe wie die ›Revolution‹ oder den ›Übermenschen‹. In diesen Zuständen und Gestalten würde dann, bar aller Illusion, der Mensch wirklich ›ankommen‹.
Der marxistische Philosoph Ernst Bloch hat diesen Ansatz in den Schlussworten seines berühmten Werks Das Prinzip Hoffnung so beschrieben:
»Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfaßt und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.«1
Das klingt ›irgendwie nett‹ – doch auch ziemlich nach Turmbau zu Babel.
Verwandte Ansätze, die weniger radikal (wörtlich ›bis auf die Wurzel‹) vorgehen wie Bloch, Marx oder Nietzsche, denken ebenfalls in die Richtung, den Himmel durch eine Utopie zu ersetzen. Unterschiedlich ist dann nur, mit welchen Farben und wie detailliert sich die verheißene ›Heimat‹ skizziert und ausgemalt wird.
Das 20. Jahrhundert hat gezeigt, dass bei diesen Malversuchen früher oder später auch gerne mit Blutrot experimentiert wird, und dass aus den Luftschlössern selbsternannter Vordenker zuletzt durchaus reale Sprengsätze auf uns kommen. Wer die Erde zum Himmel machen will, macht sie bekanntlich zur Hölle.
Alle utopischen Entwürfe (auch wenn sie moderater sind) verbindet mit den großen Ideologien des 20. Jahrhunderts, dass ihre Grunderzählungen ›Diesseits-Eschatologien‹ sind: also Weltanschauungen, die annehmen, dass eine letzte Vollendung der Welt oder des Menschen innerhalb der Geschichte möglich ist.
Neben dem katastrophalen Scheitern solcher Utopien in der Vergangenheit, sprechen auch inhaltliche Gründe dagegen, dass sich mit ihnen eine Heimat für die Menschen bauen lässt.
2. Kein endgültiges Ankommen im Endlichen
Diesseits-Eschatologien werden dem Menschen nicht gerecht. In einer Utopie (wörtlich: einem ›Un-Ort‹) kann man nicht wohnen. Im Folgenden möchte ich kurz drei Argumente skizzieren, um das zu belegen.
a. Wir brauchen eine Story
Positive Emotionen regulieren wir weniger darüber, dass wir Ziele erreichen, sondern dass wir uns auf sie zubewegen. Einen Schritt weiter zu kommen und einen neuen Abschnitt vor sich aufscheinen zu sehen, ist viel motivierender, als große Ziele zu erreichen. Erfahrungsgemäß sacken wir nämlich gerade nach solchen zweifelhaften ›Erfolgen‹ in ein Loch oder fragen und rückblickend, warum wir so viel Plackerei (etwas für das Abitur) auf uns genommen haben, obwohl es danach so schal wirkt.
b. Utopien heben sich selbst auf
Wer sein Ziel erreicht, verliert sein Ziel. Und wer sein Ziel verliert, verliert seine ›Story‹. Ein endgültiges ›Angekommensein‹ in der Welt wäre in etwa so reizvoll, wie nach einer Runde in einem Strategiespiel dauerhaft auf den ›Sie haben gewonnen!‹-Bildschirm zu starren. Entweder langweile ich mich zu Tode oder ich beende eben die Runde und beginne ein neues Spiel. In der Endlichkeit kann man nicht endgültig ankommen, wie es die Diesseits-Eschatologien versprechen. Unsere Endpunkte markieren stets einen neuen Anfang: Etwas endet, etwas beginnt.2
c. Der Himmel ist keine Vertröstung, sondern Trost
Vertröstung ist Trost ohne Wahrheit; wenn ich jemandem etwas Tröstliches sagen will, doch eigentlich weiß, dass es nicht stimmt. Auch der Glaube an den Himmel könnte (wie Nietzsche & Co.) vorwerfen, in diesem Sinne bloß Vertröstung sein. Doch glauben Christen nunmal wirklich an den Himmel und gründen auf diesen Glauben ihr Leben.
Zudem bindet der Glaube an den Himmel mir auf der Erde auch nicht die Hände (wie die Religionskritik meint), sondern bewirkt eher das Gegenteil: Dass etwa meine Liebe zu meinen Freunden, meiner Familie und meinen Mitmenschen in die Ewigkeit scheint, motiviert mich weit mehr als irgendeine ›schaffende‹ oder ›sich überholende Menschheit‹.
Die christliche Alternative zur Utopie besteht darin, die kleinen Momente von Heimat und Ankommen in der Welt zu feiern (etwa im Aufblitzen der Nostalgie oder im elterlichen Zuhause), und dabei das ›große Ankommen‹ doch nicht auf die Erde zu zerren, sondern getrost dem Himmel zu überlassen. Das heißt: zu Gast sein.
3. Als Gast leben auf Erden
Wir haben ein Zuhause, doch wir sind (noch) nicht Zuhause. Wir haben, mit Paulus gesprochen, schon ›Wohnrecht‹ im Himmel, wo unsere wahre Heimat liegt (vgl. Philipper 3,20f), doch wird noch nicht hingezogen.
Wir müssen keinen Turm zu Babel mehr bauen um in den Himmel zu kommen, sondern nur unseren Weg in die Heimat fortsetzen. Der homo viator, der pilgernde Mensch, lebt im Übergang, ist im Umzug begriffen. Und wer zu Gast ist, wohnt auf Zeit. In der Welt leben wir darum mit leichtem Gepäck – wohnlich genug, doch nicht für immer.
»Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern wir suchen die zukünftige.« (Hebräer 13,14)
Das Benediktionale, in dem die offiziellen Segensfeiern der Kirche verzeichnet sind, kennt ›Die Segnung eines Hauses‹ (Nr. 59) und ›Die Segnung einer Wohnung‹ (Nr. 60). Wir ›segnen das Zeitliche‹ also durchaus, jedoch als Zwischenstation, nicht als endgültige Heimat. Darin liegt keine Abwertung der Welt, sondern ihre Aus- und Einrichtung, die weit gemütlicher ist als alle Un-Orte:
»Zu wissen, dass es den Himmel gibt, ist die Voraussetzung, die Erde als das zu schätzen, was sie ist: ein Haus des Lebens für Mensch und Tier, zeitlich und räumlich begrenzt, aber in diesen Grenzen Gottes Gabe, die auf die je größere Gabe der Vollendung verweist.«3
Im Anhang füge ich noch einen sehenswerten Vortrag von Hartmut Rosa an, in dem er zu Studenten im ersten Semester spricht und dabei auch darauf eingeht, wie es sich anfühlt nach einem erreichten Ziel (hier der Schule) plötzlich die ›alten Gleise‹ nicht mehr zu haben und neu anfangen zu müssen – und zu dürfen.
Nächste Woche wird der Newsletter eine Osterpause einlegen, danach geht es mit dem Wohnen weiter – und zwar mit der Frage, wo Gott eigentlich wohnt. 😉
Gottes Segen, ein frohes Osterfest und bis bald, Maximilian Maria
Bloch, Ernst, Das Prinzip Hoffnung, Frankfurt a./M.: Suhrkamp 1959, S. 1628. Den Grundgedanken seines Buches Geist der Utopie faßt Bloch mit den Worten zusammen: »Die Welt ist nicht wahr, aber sie will durch den Menschen und die Wahrheit zur Heimkehr gelangen« (GA 3, 1964, 347).
Dieser Satz, der mir sehr kostbar ist, stammt übrigens passenderweise aus dem letzten Satz des (vormals) letzten Bandes der Witcher-Reihe von Andrzej Sapkowski: Die Dame vom See. [Leider habe ich meine Ausgabe schon vor Jahren weggegeben und kann sie hier darum nur aus dem Gedächtnis zitieren. :)]
Söding, Thomas, »Gottes Wohnung für die Menschen. Eine neutestamentliche Annonce«, in: Communio 33 (2004), S. 236-244, hier S. 243.